Dr. Walther Pelzer
DLR-Vorstand und Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLRWenn das Wetter die Schlagzeilen macht
+++ Schwere Gewitter in Nordrhein-Westfalen +++ Duisburg besonders stark betroffen +++ Feuerwehren in mehreren Städten wegen umgekippter Bäume, unter Wasser stehender Keller und Straßen im Dauereinsatz +++ Ausfällen und Streckensperrungen bei der Deutschen Bahn als Folgen des Unwetters +++ Ausfall der Telefone im Duisburger Stadtteil Baerl +++ Vielzahl umgestürzter Bäume sowie Überschwemmungen von Straßen und Kellern gemeldet +++ Bis 22 Uhr mehr als 600 Einsätze der Duisburger Feuerwehr +++ Feuerwehr rettet mit einem Boot gekenterte Personen auf der Ruhr +++
Jeder kennt solche Meldungen aus dem Nachrichtenticker. In diesem realen Fall sind schwere Gewitter am Nachmittag und Abend des 30. Juni 2022 über weite Teile Deutschlands gezogen und haben besonders schwere Schäden in Nordrhein-Westfalen, Südbayern und TeileN Niedersachsens angerichtet. Es kam unter anderem zu Hagel- sowie Blitzschäden, Erdrutschen, Überflutungen und etlichen umgestürzten Bäumen. In manchen Fällen bergen starke Gewitter Gefahren, wie zum Beispiel Sturmschäden durch Fallböen (Downbursts) oder Tornados. Dabei gelten Gewitter bislang als äußerst schwer vorhersagbar. Ein Grund dafür ist, dass sie meist sehr lokal begrenzt entstehen. Mit dem Start des ersten METEOSAT THIRD GENERATION (MTG) Satelliten hat Europa jetzt ein Auge im Weltraum, um diesen lokalen Gewittern rechtzeitiger auf die Schliche zu kommen oder sie gar vorherzusagen, um rechtzeitig zu warnen.
Außerdem soll er Nebel und Waldbrände automatisch erkennen. Dazu dienen unter anderem die beiden neuen Instrumente: der Flexible Combined Imager (FCI) und der Lightning Imager (LI). Das zentrale Instrument auf MTG-I1 ist der sogenannte Flexible Combined Imager (FCI). Er hat 16 Spektralkanäle und eine Auflösung von 500 bis 2000 Metern, je nach Kanal und Betriebsmodus. Die Bildfrequenz für Aufnahmen der ganzen Erdscheibe liegt bei zehn Minuten. Im sogenannten Rapidscan-Modus wird Europa in nur 2,5 Minuten mit erhöhter geometrischer Auflösung abgescannt. Der neuste europäische Wettersatellit liefert damit eine doppelt so hohe zeitliche und räumliche Auflösung sowie eine hundertfach höhere Datenrate als die Vorgängergenerationen.
Neue Satellitengeneration verbessert Vorhersagen
Als ein großer Nutzer der Daten rechnet der Deutsche Wetterdienst (DWD) damit, dass durch MTG künftig zum Beispiel die Erfassung von Feuchtigkeit und Bewölkung in der Atmosphäre deutlich verbessert wird. Das hat positive Auswirkungen, weil die Vorhersage von Wolkenverlagerungen und damit auch Starkregen, bodennaher Temperaturen oder Sonneneinstrahlung noch genauer werden soll. Diese Daten können deshalb auch einen wichtigen Beitrag zum Katastrophenschutz oder dem Ausbau der erneuerbaren Energien leisten. Durch die deutlich höhere räumliche und zeitliche Auflösung der Messinstrumente, können Gewitterwolken künftig deutlicher erkannt und ihre Lebensdauer besser eingeschätzt werden. Davon soll zum Beispiel die Luftfahrt profitieren, die heute schon Gewittervorhersagen des DWD alle 15 Minuten ins Cockpit geliefert bekommt. Zudem wird MTG der erste Satellit sein, der Blitze über Europa und den umliegenden Meeren misst.
Denn bisher wurden diese gewaltigen elektrischen Entladungen in Europa nur von Bodennetzen erfasst. Beide MTG-Instrumente zusammen sollen die Gewittervorhersage deutlich verbessern. MTG erhöht damit auch die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit des Luftverkehrs, der Seefahrt und des Küstenschutzes. Von dem Satelliten werden auch Politik, Verwaltung und die Wirtschaft profitieren, indem sie mit Hilfe der Satellitendaten frühzeitig über absehbare Klimaveränderungen informiert werden und sich darauf vorbereiten können. So profitieren zum Beispiel Einrichtungen mit hoheitlichen Aufgaben wie Feuerwehren, Leitstellen oder Hochwasserzentralen von der flächendeckenden Überwachung des Wettergeschehens. Außerdem sind zum Beispiel auch die Wasserwirtschaft, Land- und Forstwirtschaft, Energie- und Bauwirtschaft, das Versicherungswesen oder der Tourismus auf präzise Wetterinformationen und Vorhersagen angewiesen.
Dr. Christina Köpken-Watts
DWD-Koordinatorin des Satellitendaten-Teams in der Datenassimilation für die numerische Wettervorhersage, Vertreterin Deutschlands in der EUMETSAT Science Working Group (STG-SWG), Mitglied der IRS Mission Advisory Group (IRSMAG)Das gesamte Interview mit Dr. Christina Köpken-Watts lesen Sie hier.
Wachsende Datenmengen schaffen Herausforderungen
Der DWD und alle nationalen Wetterdienste in Europa werden von MTG maßgeblich profitieren. Aktuell verarbeitet und prüft allein die deutsche Wetterinstitution heute täglich rund 165 Millionen Wetterbeobachtungen, wovon etwa fünf Millionen Beobachtungen aktiv für die Vorhersage genutzt werden. Davon stammen wiederum rund 85 Prozent von Satelliten. Da MTG im Vergleich zu den MSG-Satelliten etwa die hundertfache Datenmenge liefert, wird die neue Generation der Satelliten die Bedeutung von Satelliten für alle Wetterdienste in Europa deutlich erhöhen. Allerdings stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Modellentwicklerinnen und -entwickler in Europa vor einer großen Herausforderung. Denn sie müssen die riesigen, alle zehn Minuten eintreffenden Datenströme verarbeiten und in ihre Wettervorhersagemodelle einbauen.
MTG-I1 wird zu "Meteosat-12"
Dr. Christina Köpken-Watts
DWD-Koordinatorin des Satellitendaten-Teams in der Datenassimilation für die numerische Wettervorhersage, Vertreterin Deutschlands in der EUMETSAT Science Working Group (STG-SWG), Mitglied der IRS Mission Advisory Group (IRSMAG)Das gesamte Interview mit Dr. Christina Köpken-Watts lesen Sie hier.
Nach dem Start von MTG-I1 am 13. Dezember 2022 hat die sogenannte LEOP-Phase (Launch and Early Operation Phase) begonnen, in der der Satellit seinen Zielorbit erreicht, die Solargeneratoren öffnet und die Kommunikationssysteme in Betrieb nimmt. Am 28. Dezember 2022 wurde die LEOP Phase beendet und EUMETSAT hat die Missionskontrolle übernommen. In der nachfolgenden "Commissioning"- Phase werden die Instrumente eingeschaltet, getestet und kalibriert, um die Algorithmen zur Auswertung der Daten anzupassen. Etwa ein Jahr nach dem Start beginnt dann die Betriebsphase von MTG-I1. Dann werden die Datenprodukte an alle europäischen Wetterdienste, darunter der Deutsche Wetterdienst, innerhalb weniger Minuten nach der Aufnahme übermittelt. Der Satellit wird zu diesem Zeitpunkt in "Meteosat-12" umbenannt.
Die MTG-Baureihe wurde im Auftrag der Europäischen Organisation zur Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT) von der Europäischen Weltraumorganisation ESA entwickelt und soll die Kontinuität der 1977 mit METEOSAT-1 begonnenen Wetterbeobachtung aus dem Weltraum sicherstellen und weiter verbessern. Diese neue Generation besteht aus insgesamt sechs Satelliten, die in Serie gestartet werden, um routinemäßig Wetterdaten für die nächsten 25 Jahre zu erstellen. MTG besteht aus zwei Satellitentypen: vier Satelliten mit abbildenden Instrumenten, den sogenannten Imagern (MTG-I1-4) und zwei Satelliten mit spektroskopischen Instrumenten, den sogenannte Soundern (MTG-S1-2). Deren Hauptinstrument wird neue Daten zur Vorhersage extremer Wettereignisse liefern. Der Start von MTG-S1 ist Mitte 2024 geplant.
Dr. Christina Köpken-Watts
DWD-Koordinatorin des Satellitendaten-Teams in der Datenassimilation für die numerische Wettervorhersage, Vertreterin Deutschlands in der EUMETSAT Science Working Group (STG-SWG), Mitglied der IRS Mission Advisory Group (IRSMAG)Das gesamte Interview mit Dr. Christina Köpken-Watts lesen Sie hier.
Maßgebliche deutsche Beteiligung
An der Entwicklung der europäischen MTG-Satelliten ist Deutschland mit etwa 30 Prozent beteiligt. Die Firma OHB ist zuständig für den Bau aller sechs Satelliten-Plattformen sowie für das IRS Instrument (MTG-S). Die Firma Airbus DS ist maßgeblich an Entwicklung und Bau des Sentinel-4-Instruments auf MTG-S beteiligt. Die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR ist verantwortlich für die fachliche Unterstützung bei der Durchführung des MTG-Programms in Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst, finanziert mit Mitteln des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV).