



Frau Christmann, Sie waren zum ersten Mal bei einer ESA-Ministerratskonferenz dabei und haben gleich den Vorsitz für Deutschland übernommen. Wie wichtig ist das und welcher Moment oder welches Detail wird Ihnen von des „CM22“ am stärksten in Erinnerung bleiben?
: Es war mir zusammen mit unserem Minister Robert Habeck eine Ehre, von Frankreich den Staffelstab für die ESA- Ratspräsidentschaft zu übernehmen. Ich habe die Ministerratskonferenz als ganz besonderen Ausdruck der engen europäischen Kooperation in der Raumfahrt erlebt. Die Stimmung war sehr freundschaftlich und alle wollten gemeinsam das Beste für eine erfolgreiche ESA erreichen. Ein toller Teamspirit herrschte sowohl zwischen die Mitgliedsstaaten als auch in unserer eigenen Delegation aus DLR und Ministerium. Ein bisschen Spannung gehört natürlich auch dazu. Die finale Zeichnungsrunde, in der das große Engagement der Mitgliedsstaaten nochmal deutlich geworden ist, wird mir neben dem tollen Ambiente, das unsere französischen Gastgeber ermöglicht haben, sicher in Erinnerung bleiben.
Herr Pelzer, und wie haben Sie ihre zweite Ministerratskonferenz persönlich erlebt? Was war in Paris anders als in Sevilla?
: Die ESA-Ministerratskonferenz in Paris war in vielen Dingen anders als ihre Vorgängerin 2019 in Sevilla. Zum einen haben wir nach der letzten Bundestagswahl ein neu aufgestelltes Bundesministerium für Wirtschaft, das nun auch die Federführung für Klimaschutz in der Bundesregierung innehat. Mit Anna Christmann haben wir eine neue Koordinatorin für die deutsche Luft- und Raumfahrt bekommen, die, im Wechsel mit Bundesminister Robert Habeck, den Vorsitz in Paris und damit auch die dreijährige Ratspräsidentschaft für Deutschland in sehr souveräner Art und Weise übernommen hat. Dass mit Minister Habeck seit vielen Jahren wieder ein Bundesminister höchstpersönlich bei einer Ministerratskonferenz dabei war, freut mich sehr und veranschaulicht den wachsenden Stellenwert, den die Bundesregierung der Raumfahrt beimisst. Zum anderen war diese „MK“ in Paris die erste, die im Zeichen eines Krieges in Europa stattfand. Der russische Angriff auf die Ukraine und seine Folgen hat auch die Entscheidungen in Paris beeinflusst. Die Steigerung auf 16,9 Milliarden Euro – die höchste Gesamtzeichnungssumme in der ESA-Geschichte – war angesichts der Umstände zwingend notwendig und ist gleichzeitig ein beachtenswerter Erfolg. Deutschland hat mit seinem Beitrag von mehr als 3,5 Milliarden Euro – auch das ist der höchste Satz in der deutschen Ministerratsgeschichte – einen großen Anteil dazu geleistet.

Dr. Anna Christmann
Koordinatorin für die Deutsche Luft- und RaumfahrtFrau Christmann, Deutschland hat sein Raumfahrtbudget für die ESA im Vergleich zur Space19+ noch gesteigert und ist damit erneut stärkster Partner der ESA - was bedeutet das politisch und ökonomisch?
: Wie wir alle wissen, müssen wir uns derzeit zahlreichen parallelen Krisen stellen: der Klimakrise, dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, damit verbunden einer Energiekrise und einer hohen Inflation. Umso mehr freut es mich, dass wir in Paris finanzielle Zusagen auf einem so hohen Niveau machen konnten. Die signifikante deutsche Zeichnung bei der ESA-MK 2022 ist ein deutliches Bekenntnis der Bunderegierung zur Bedeutung der Raumfahrt. Für uns ist Raumfahrt eine der Schlüsseltechnologien der Zukunft. Die kontinuierlich hohen Investitionen fördern den Hightech-Standort Deutschland und wir stellen als ESA-Mitglied mit den höchsten Beiträgen sicher, dass wir auch in Zukunft gemeinsam mit unseren Partnern die Raumfahrt aktiv gestalten können. Aber nicht nur die Menge des Geldes ist wichtig, um die europäische Raumfahrt zukunftsfähig zu machen, sondern auch die Art und Weise wie es ausgegeben wird. Wir setzen uns dafür ein, dass kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere auch Start-ups, einen einfacheren Zugang zu ESA-Programmen erhalten. Denn diese Unternehmen sind oftmals Innovationstreiber in ihrem Bereich. Das konnten wir in den letzten Jahren weltweit beobachten und hier hat Europa Nachholbedarf.
Herr Pelzer, die MK in Paris war nicht nur eine Ministerratskonferenz in Zahlen. Es wurden auch bedeutende politische Beschlüsse gefasst. Welche?
: Genau, in Paris gab es einige politisch überaus bedeutende Beschlüsse. Zum Beispiel haben die Ministerinnen und Minister entschieden, dass Europa zum ersten Mal mit einer eigenen Mission einen Satelliten auf die Mondoberfläche schickt. Ein besonderer Erfolg aus deutscher Sicht ist auch die Öffnung des Transports der ESA-Nutzlasten für privat finanzierte europäische Trägerraketen. Diese Entscheidung wird sich nachhaltig auf die europäische Raumfahrt auswirken und öffnet den größten europäischen Nutzlastmarkt auch für die bisher schon erfolgreichen deutschen Mikrolauncher-Unternehmen. Mit dieser Entscheidung wurde eine ESA-Regelung aus dem Jahr 2005 aufgehoben, nach der ESA-Nutzlasten ausschließlich mit den (großen) Trägerraketen Ariane und Vega fliegen dürfen. Indem dieser große institutionelle Markt geöffnet wird, erhalten gerade die jungen, hochinnovativen Start-ups im Klein(st)träger-Bereich eine hervorragende Perspektive. Eine weitere wichtige Entscheidung für Deutschland war auch, dass Lampoldshausen als Standort für Raketenstufentests und -bauteilfertigung nun Teil der strategischen ESA-Infrastruktur geworden ist und auch die kommenden Generationen der Vinci-Triebwerke für die Ariane-Raketen dort hergestellt werden können.


Dr. Walther Pelzer
DLR-Vorstand und Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLRFrau Christmann, nun ist das Bundeswirtschaftsministerium seit dieser Legislaturperiode innerhalb der Bundesregierung auch federführend für Klimaschutz verantwortlich. Wie wirkt sich das auf die ESA-Entscheidungen aus?
: Raumfahrt ist entscheidend für Klimaschutz. Erst unsere „Augen“ im All haben es uns ermöglicht, zu begreifen, was wir Menschen mit unserem Planeten machen. Und Raumfahrtdienste geben uns auch die Möglichkeit, Auswirkungen der Klimakrise zu begrenzen. Als Klimaschutzministerium war es uns daher wichtig, dass diese Programme bei der ESA-MK in Paris eine große Unterstützung bekommen. Das betrifft natürlich insbesondere die Erdbeobachtung. Hier werden in den Flaggschiffprogrammen FutureEO und Copernicus neue Umweltsatelliten entstehen. Außerdem investieren wir in das Programm Climate Space, welches in Kombination mit nationalen Missionen wie EnMAP, GRACE und später MERLIN eine bedeutende Rolle in der Berichtspflicht des Pariser Klimaabkommens einnehmen wird. Besonders freut es mich auch, dass wir uns außerdem am Programm Digital Twin Earth beteiligen konnten. Hier sollen existierende und zukünftige Daten zusammengefügt werden, um ein noch besseres Verständnis des Systems Erde zu ermöglichen. Damit stärken wir zudem den Downstreamsektor, denn wir können aus Raumfahrtdaten noch viel mehr machen, als wir es heute schon tun.
Herr Pelzer, welche ESA-Missionen sind für Deutschland in den kommenden Jahren besonders wichtig?
: Viele. Anna Christmann hat gerade die Erdbeobachtungsmissionen erwähnt. Daher möchte ich einige andere ergänzen. In der Exploration will Europa unter deutsch-italienischer Führung mit der „EL3“-Mission den Mond robotisch erschließen und eigene Kapazitäten in der Erkundung des Mondes aufbauen. Mit den Verträgen zu den europäischen Servicemodulen ESM 7 bis 9 unterstützt Europa das Artemis-Programm der NASA und bringt die USA insbesondere mit deutscher Technologie zurück zum Mond. Die Auftragsvergabe für das ESM ist ein großer Vertrauensbeweis der NASA in unsere Fähigkeiten. Die erfolgreiche Artemis-1-Mission ist auch ein Beleg für die hohe Ingenieurskunst „made in Germany“. Und wenn wir schon bei Technologie sind, möchte ich gerne auch auf die neue EU-Initiative „Secure Connectivity“ eingehen. Die ESA wird im neuen „Programm mit Bezug zur EU sicheren Konnektivität" die für die europäische IRIS²-Konstellation notwendigen Entwicklungen und Demonstrationen für die EU-eigene Infrastruktur durchführen. Deutschland hat bei der EU-Verordnung entscheidend mit verhandelt, sodass auch die deutsche Industrie und vor allem KMU und Start-ups hier eine Rolle spielen werden. Die Bundesrepublik hat dieses ESA-Programm entsprechend hoch gezeichnet. Ein großer Erfolg ist auch das in Sevilla 2019 aufgelegte und von Deutschland stark unterstützte C-STS-Programm, das sich unter dem neuen Namen BOOST! für mehr Wettbewerb im Trägerraketen-Sektor einsetzt und das jetzt in Paris fortgeführt wurde. Dank unseres Mikrolauncher-Wettbewerbs, den die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR im Rahmen dieses Programms seit dem Jahr 2020 organisiert, wird hoffentlich noch in diesem Jahr der erste deutsche Mikrolauncher starten und europäische Kleinsatelliten aus unserem Nationalen Nutzlastwettbewerb im Weltraum aussetzen – ein Beispiel, wie intelligente Verzahnung von nationalen und ESA-Initiativen gelingen kann.


Dr. Anna Christmann
Koordinatorin für die Deutsche Luft- und RaumfahrtFrau Christmann, wie werden die nächsten drei Jahre unter einer deutschen ESA-Präsidentschaft ablaufen? Was darf Europa, was darf die Raumfahrtwelt von Deutschland erwarten?
: Es ist wirklich eine Ehre für uns, dass Deutschland in Paris von den anderen Mitgliedsstaaten zum Vorsitz des ESA-Rats auf Ministerebene gewählt wurde und diese Funktion bis zur nächsten ESA-Ministerratskonferenz innehaben wird. Wir wollen einen Beitrag zu einer starken ESA leisten, die die Chancen der Raumfahrt für Europa und unseren Planeten nutzt. Der Beitrag der Raumfahrt zum Klimaschutz, die Stärkung der europäischen Souveränität in strategisch wichtigen Raumfahrtbereichen und die Steigerung von Innovation und Kosteneffizienz durch die Förderung von New-Space-Ansätzen sind dafür wichtige Bausteine. Europa steht zudem besonders für Nachhaltigkeit, das können wir auch in der Raumfahrt weiter ausbauen. Die Anstrengungen zur Vermeidung und Entfernung von Weltraumschrott durch die ESA wollen wir weiter vorantreiben. Für dieses Programm ist es uns wichtig, sich eng mit den anderen ESA-Mitgliedsstaaten ebenso wie mit der EU-Kommission und den jeweiligen Präsidentschaften des Rats der EU auszutauschen. Ihren Höhepunkt erreichen diese Bestrebungen bei der ESA-Ministerratskonferenz 2025, die dann in Deutschland stattfinden wird.
Herr Pelzer, wie wird die von Frau Christmann angesprochene ESA-Ratspräsidentschaft denn von der Raumfahrtagentur umgesetzt?
: Auf uns kommt neben den normalen Tätigkeiten im Rahmen der ESA-Programmbeiräte und des ESA-Rates nun auch die Aufgabe zu, mit den Partnern ESA und EU die Ausrichtung der europäischen Raumfahrt für die nächsten Jahre zu gestalten. Mit der Präsidentschaft vertreten wir die ESA auf politischer Ebene nach außen – zum Beispiel bei Gesprächen mit der Kommission. Nach innen vertreten wir die zusammengefassten Positionen der ESA-Mitgliedstaaten, um die Weiterentwicklung der ESA in deren Transformationsprozess entsprechend der Vorstellungen der Mitgliedstaaten zu gestalten. Als erste Aufgabe steht die Vorbereitung des Summit im November in Sevilla an. Hierzu stimmen wir uns eng mit Spanien, die zu dem Zeitpunkt die EU-Präsidentschaft innehaben werden, über die Agenda des nächsten europäischen Raumfahrtgipfels ab. Zusätzlich werden wir eigene Initiativen im Bereich der nachhaltigen Raumfahrt und des Weltraumschrotts mit der ESA organisieren. Es gibt also einiges zu tun.



